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Rundbrief Nr. 50

Winter 2022

Liebe Freundinnen und liebe Freunde,

 

da nach zwei Jahren Pandemie alle Nepalfans wieder in den Himalajastaat reisen wollten, war es gar nicht so einfach, noch einen geeigneten Flug für Tihar (Lichterfest) zu finden, so dass ich erst am dritten Tag des 4-tägigen Festes ankam. Einerseits herrschte das mit den Festtagsvorbereitungen für den letzten Tag, den Bhai Tika Tag, typische geschäftige Treiben, andererseits spürte ich durch die vielen Lichter die Freude und Ruhe, die dieses Fest ausstrahlt.

Am einzigen Feiertag des mehrtägigen Fests gaben unsere Mädchen wieder unseren Jungen, die sie ihre Brüder nennen, das übliche Segenszeichen – Tika - in sieben Farben. Am Nachmittag fand in zum jeweiligen Tanz passenden kulturellen Kostümen unsere große Tanzaufführung statt, für die unsere Kinder noch mehr als je zuvor geübt hatten. Die Großen - vor allem die Mädchen - sind profiverdächtig, die Kleinen eifern ihnen nach. Es war ein beeindruckender Nachmittag. Am nächsten Feiertag machten wir einen sehr gelungenen Ausflug in den Naturpark in Godavari, ca. 30 km von uns entfernt.  Dort entstand ein neues Gruppenbild von fast allen Kindern, einigen Angestellten und unseren derzeitigen Volunteers.

Die angenehme Atmosphäre der Festtage hielt und hält in unseren Häusern an. Unser Gesamtleiter, Rajesh, hat seine Mannschaft gut zusammengeschweißt und alle Bereiche sorgfältig durchstrukturiert und -organisiert. Einheimische Mitarbeitende sowie die ausländischen Volunteers fühlen sich wohl und erfüllen gerne ihre Aufgaben. Unsere eigene Kita und Schule bewähren sich und tragen zu dem guten Klima bei, denn mit dem zusätzlichen Raum sowie den ganztägigen altersgerechten Angeboten für unsere Jüngsten werden wir nicht nur deren Bedürfnissen besser gerecht, sondern geben gleichzeitig auch den anderen Kindern und Jugendlichen mehr angemessene Entfaltungsmöglichkeiten. Den 46 Kindern aus unserem Kinderheim tut unsere kleine Schule (Klasse 1 bis 5) mit insgesamt 55 Schülerinnen und Schülern gut, weil sie in diesen kleineren Klassen mehr beachtet werden können, mehr Individuum sind. 

Zur Fortbildung der Erzieherinnen und Lehrkräfte holen wir Seniorexperten her. Hans Krause, der im Herbst 2017 zusammen mit seiner Frau zum ersten Mal ein Praktikum bei uns gemacht hatte (siehe Rundbrief Nr. 40), kam als pensionierter Grundschullehrer im Sommer dieses Jahres für einen Monat, um Lernende und Lehrende in einen anschaulichen und interaktiven Mathematikunterricht einzuführen. Alle waren mit Feuereifer dabei. Plötzlich wurde Mathematik sehr verständlich und machte allen Spaß.

 

Noch vor Weihnachten werden für vier Wochen je eine Senior-expertin für die Kita und eine für die sprachlichen Fächer in die Schule kommen. Ihre Wege sind in der Kita durch die Waldorfpädagogin Nima und in der Schule durch mich vorbereitet.

Sweta Thapa
Sweta Thapa

In unserem Kinderheim gab es wieder personelle Veränderungen. Vor ca. einem Jahr haben wir eine junge Psychologin eingestellt, die jetzt fast voll bei uns arbeitet. Sie hat mit fast jedem Kind ein „Kennenlerngespräch“ geführt, denn jedes Kind bringt sein Päckchen mit: früher Tod beider Eltern oder eines Elternteils, bittere Armut, Auseinander-brechen der Familie durch Trennung der Eltern bedingt durch Alkohol-probleme oder häusliche Gewalt; Abschiebung des Kindes an Ver-wandte, die meist selbst zu wenig für sich zum Leben haben. Und als Schlimmstes: keinerlei Interesse an dem Kind.

 

Zwei derartige Schicksale seien hier erwähnt, die umso tragischer sind, weil beide zu den Besten in ihrer Abschlussklasse 10 in diesem Jahr zählten und ein vorbildliches Sozialverhalten aufweisen, die aber Anerkennung und Zuwendung der Eltern vermissen müssen.

Als Rajus Mutter von dem schweren Arbeitsunfall ihres Mannes im Oman hörte, verließ sie ohne ihren Sohn das Dorf. Verwandte nahmen sich des Jungen an, bis er 2014 zu uns kam. Drei Jahre später verunglückte der Vater tödlich. Die Verwandten im Dorf hatten eine Zeitlang eine Handy-nummer der Mutter, die inzwischen aber auch nicht mehr funktioniert. Die quälende Frage ist nun, ob sie noch lebt und einfach keinen Kontakt mehr haben will oder ob sie inzwischen selbst verstorben ist. In all dem Unglück hat der inzwischen 17-jährige noch Glück, denn er ist bei seinen Verwandten im Dorf willkommen. 

Die heute 18-jährige Mina kam vor 12 Jahren zu uns. Bald nach ihrer Geburt hatten ihre Eltern sich scheiden lassen und jeweils wieder geheiratet, die Mutter nach Indien. Das Mädchen blieb in der Obhut der Großeltern, bis es zu uns kam. Vor ca. drei Jahren kehrte die Mutter aus Indien ins Dorf zurück, zeigte aber kein Interesse daran, ihre Tochter kennenzulernen und ist inzwischen wieder verschwunden. Vom Vater weiß man nichts Näheres. Nach all den Jahren tauchte nun plötzlich der Bruder der Mutter auf, der das Mädchen im Sommer zwei Tage zu sich einlud, sich aber zu den Festtagen jetzt nicht meldete. Nach nepalesischem Recht und Brauch müsste er sich um das Mädchen kümmern und es zumindest zu Festen einladen. Nach der Rückkehr der Mutter nach Nepal bekam ich ein Foto von ihr, das ich natürlich für Mina ausdruckte. Sie verschlang es förmlich mit ihren Augen.

Leider mussten wir uns auch von einem allseits sehr geschätzten Mitarbeiter, dem 24-jährigen Anish Ghimire, verabschieden, der mit seiner natürlichen Autorität, seinem Führungstalent und Humor vier Jahre und drei Monate lang sehr erfolgreich als Hausleiter der Teenager-Jungen tätig war. Im Rahmen des Diversity Immigrant Visa Program hatte er eine „Green Card“ bekommen und zog Anfang Oktober in die USA. Der Abschied mit Kuchen und Tänzen war sehr bewegend. Für seine Zukunft wünschen wir ihm alles erdenklich Gute.

Seinen Platz nimmt Raja Timalsina ein, den sein Vorgänger noch einarbeiten konnte. Wir wünschen ihm das gleiche gute Händchen bei dieser verantwortungsvollen Aufgabe.

Raja Timalsina
Raja Timalsina

Kommen wir nun nach Deutsch-land, wo wir inzwischen auch ein Standbein haben. Vor fünf Jahren kam Madan Raj Sharma zu einem FSJ-Jahr nach Schwäbisch Gmünd, besuchte nebenher Sprachkurse und begleitete Grundschulkinder bei ihren Klassenaufgaben. Dann machte er den einjährigen Vorkurs und schloss diesen Sommer erfolg-reich in St. Loreto die 3-jährige Ausbildung zum Erzieher ab.

 

Er schreibt selbst dazu:

In dieser Zeit konnte ich viel Wissen über die Kindheitspädagogik gewinnen. Über diese Jahre musste ich viele Ausarbeitungen schreiben und so verbesserte ich meine Deutschsprache. Für mich ist Deutschland das Land der Möglichkeiten, egal in welchem Bereich man tätig ist. Ich bin sehr dankbar, einen Beruf in Deutschland ausüben zu können. Dafür bedanke ich mich an Frau Dietrich, Gerda Kucher und Heike Maria Kucher, die mich unterstützt haben.“

Seit 1. September hat er eine feste Anstellung in der Stauferstadt.

Neun weitere Jugendliche sind diesen Herbst zur Ausbildung nach Deutschland gekommen. Vier weitere mussten in Kathmandu bleiben, weil sie leider die entsprechende Sprachprüfung in Deutsch nicht bestanden hatten. Glücklicherweise konnten wir für die meisten von ihnen Gastfamilien finden, in denen sie wie deren eigene Kinder aufgenommen sind und sich voll integriert fühlen. Diese Aufnahme erleichterte ihnen den Start mit allen Behördengängen und das Nutzen der Verkehrsmittel sehr. Ferner lernen sie so den deutschen Alltag kennen, denn selbst so etwas Einfaches wie das Holen eines Einkaufswagens im Supermarkt und dessen Rückgabe muss gelernt werden. Last but not least kosten sie deutsches Essen und müssen viel Deutsch sprechen, was ihnen wieder im Beruf hilft. Bis jetzt erlebe ich nur zufriedene Gastfamilien und nepalesische Jugendliche.

 

Mit Sachins Gastfamilie - er kam 2021 - war abgesprochen, dass er maximal ein Jahr bei ihr bleibt. Er wird nun, wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischenkommt, während seiner ganzen Ausbildung dort wohnen, denn die drei Kinder der Familie haben ihn als ihren großen Bruder adoptiert, die Gasteltern als einen weiteren Sohn aufgenommen. Er nimmt auch an allen Familienfeiern und -urlauben teil. Sachin fühlt sich umgekehrt als vollwertiges Familienmitglied und ist sehr dankbar dafür.

Mit den nepalesischen Jugendlichen, ihren Gastfamilien und ein paar Paten haben wir am 8. Oktober in einem deutsch-nepalesischen Restaurant in Schwäbisch Gmünd das wichtigste nepalesische Fest, Dashain, gefeiert. Es hat das Heimweh gelindert und den deutschen Gästen Einblicke in das frühere Leben ihrer neuen Familienmitglieder gegeben.

Nicht nur bei uns, sondern auch in Nepal sind infolge von Corona und dem Krieg in der Ukraine die Lebenshaltungskosten gewaltig gestiegen. Sofern Sie noch eine Patenschaft mit 30 Euro haben, würden wir uns sehr freuen, wenn Sie Ihren monatlichen Beitrag um 5 oder gar 10 Euro erhöhen könnten. Generell gesehen freuen wir uns auf weitere Paten für unsere neu aufgenommenen und auch manche älteren Kinder, deren Kosten durch die Teuerung nicht mehr abgedeckt sind. Weiterhin gibt es Patenschaften ab 30 Euro.

Wir haben wieder mehr Praktikantinnen und Praktikanten, dieses Mal sogar eine gereiftere, die alle mit ihrer Hausaufgabenhilfe, ihren Freizeit-angeboten und ihrer Hilfe beim Deutschlernen einen wertvollen Beitrag in unseren Häusern leisten. Wir freuen uns über weitere Bewerbungen jeden Alters.

Näheres - einschließlich der Termine für die Einführungsseminare - finden Sie auf unserer Homepage.

 

Wir sammeln immer noch gut erhaltene Laptops und Handys für Nepal. Auch würden uns noch zwei gebrauchte Beamer in unseren Häusern helfen.

 

Um die Umwelt zu schonen und Ressourcen zu sparen, verschicken wir lieber unseren Rundbrief per E-Mail als per Post. Sofern wir Ihre E-Mailadresse noch nicht haben, würde es uns sehr freuen, wenn Sie uns diese mitteilten.

 

Im Februar 2022 hatte unser Schatzmeister, Walter Neumann, alle Spendenbescheinigungen per E-Mail verschickt, sofern wir Ihre E-Mailadresse hatten. Leider haben viele Firewalls diese nicht durchgelassen, so dass er sie Ihnen zusätzlich per Post schicken musste. Um Frust und doppelte Arbeit zu sparen, wird er sie Ihnen 2023 von vornherein per Post schicken.

Bleibt mir abschließend nur noch, Ihnen sehr herzlich für Ihre beständige Unterstützung zu danken. Halten Sie uns bitte weiterhin die Treue, denn wir benötigen Sie dringender denn je.

 

Mit sehr dankbaren Grüßen und guten Wünschen für die bevorstehenden Festtage und den Jahreswechsel verbleibe ich 


Eine Vielzahl weiterer Rundbriefe, der vergangenen Jahre, finden Sie auch in unserem Downloadbereich zum Herunterladen als pdf.

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