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Rundbrief Nr. 49

Sommer 2022

Liebe Freundinnen und liebe Freunde,

 

ein knapp 25-jähriger Verein, den immer noch die Gründerin leitet, müsste sich, vor allem in noch Corona-Zeiten, in ruhigen Fahrwassern befinden. Weit gefehlt! Wir haben einen Kindergarten und eine Schule bis zur 5. Klasse eröffnet, 13 Jugendliche bewarben sich erfolgreich auf Ausbildungsplätze in Deutschland und lernen seit letztem Herbst fleißig Deutsch. 

Im Gegensatz zu Deutschland blieb Nepal seit letztem Herbst von einer neuen Coronawelle verschont. So konnten sich Senior- und Juniorvolontäre zu ihrem Dienst vor Ort wieder aufmachen. Sie entlasten damit das ortsansässige Personal sowie Eric und Mathis, unsere deutschen Fernstudenten in Nepal. Über ihre neuen Freizeitangebote sowie ihrer Hilfe bei den Hausaufgaben freuen sich Kinder und Erwachsene.

 

Zunächst wurde mein Traum eines eigenen Kindergartens wahr, der in Anwesenheit des deutschen Botschafters am 21. April, dem „Internationalen Tag des Kindergartens“, eröffnet wurde. Wie deutsche Kinder sollten auch nepalesische Kinder zwischen 3 und 6 Jahren spielen, singen, Geschichten hören und kreativ sein dürfen, anstatt bereits Buchstaben und Zahlen zu schreiben und lesen zu lernen sowie auch Rechenaufgaben bewältigen zu müssen. Zudem werden sie mit täglichen Hausaufgaben und Klassenarbeiten konfrontiert und bekommen sogar Zeugnisse mit Noten (!). Dessen Realisierung machte unsere Schriftführerin, Ingrid Schneider-Winter, möglich, die für uns eine größere rotarische Spende einwarb. Ihr und den beteiligten Rotary Clubs sei an dieser Stelle dafür herzlich gedankt. Sie, liebe Spenderinnen und Spender, ergänzten durch Ihre Teilnahme an unserer Ausschreibung über betterplace und „WirWunder“ diese Spende und trugen damit zur Finanzierung der restlichen Bedarfe bei. Auch Ihnen sei dafür herzlich gedankt. (Ausführliche Berichte finden Sie in einem Blog auf unserer Homepage und auf betterplace.)

Rund 20 Kinder besuchen inzwischen unsere Kindertagesstätte. Eltern zögern noch mit der Anmeldung, weil ein nicht verschulter Kindergarten gegen die bestehenden Traditionen verstößt, also absolutes Neuland ist. Sie meinen, dass ihre Kinder später Nachteile in der Schule haben, wenn sie nicht so früh wie möglich mit dem schulischen Lernen anfangen. Leider ist ihnen nicht bewusst, dass das Gehirn eines 3-jährigen Kindes für solches Lernen noch nicht reif ist. Wir werden einen längeren Atem für die Überzeugungsarbeit benötigen.

Nima Sherpa, eine Nepalesin mit Waldorf-Erfahrung, schulte und begleitet derzeit noch ein paar unserer erwachsenen Mädchen sowie die Frau eines Mitarbeiters als unsere Kindergärtnerinnen. Ohne nun explizit ein Waldorf-Kindergarten zu sein, übernehmen wir aus dieser Pädagogik ebenso wie aus anderen Kindergarten-Ansätzen gerne die Elemente, die in unsere Konzeption passen.

Die verwitwete Mutter von drei Buben, die letzten Herbst zu uns kamen, haben wir als Hausmeisterin eingestellt. Sie brachte noch die gerade 3 Jahre alt gewordene Schwester der Buben mit, die sie bei sich behalten hatte. Dadurch konnten wir eine Familie wieder zusammenführen, die durch den tragischen Tod des 47-jährigen Vaters auseinander-gerissen wurde, der seine monatelangen Kopfschmerzen mangels Geld bzw. einer Krankenversicherung nicht richtig behandeln lassen konnte. Wir sind dankbar, dass wir weiteren Menschen, vor allem Frauen, zu fairen Löhnen zu einem Arbeitsplatz in guter Arbeitsatmosphäre verhelfen konnten. 

Der Spielbereich unserer Kita ist als zusätzlicher Auslaufbereich ein großer Gewinn für alle unsere Kinder, denn neben unseren Jüngsten halten sich auch unsere mittleren Kinder gern dort auf. Ich empfinde ihn selbst wie eine Oase.

Unsere Renovierungsarbeiten für die Kindertagesstätte waren schon recht weit fortgeschritten, als uns in fußläufiger Nachbarschaft eine kleine Schule angeboten wurde. Wir griffen zu, weil wir nun unsere Kinder in den Klassenstufen 1 bis 5 in kleinen Klassen bis derzeit maximal 15 Kinder unterrichten können. Als wir während der beiden pandemiebedingten Lockdowns mangels für uns geeignetem schulischem Online-Unterricht zum Hausunterricht greifen mussten, genossen die meisten unserer Kinder dieses Lernen. Es konnte individueller auf ihre Bedürfnisse eingegangen werden als in einer Klasse mit mehr als 33 Schüler*innen. Erfreulicherweise schnitten sie bei den Klassenarbeiten in der Schule ordentlich ab.

In unserer neuen Schule, der „Kusum Academy“, haben wir in diesem Schuljahr, das im Mai begonnen hat, 51 Schüler*innen, von denen 8 nicht in unserem Kinderheim wohnen. Zwei Lehrkräfte haben wir eingestellt, der Rest des Unterrichts wird von unseren eigenen Kräften übernommen. Es genießen bisher alle die dort herrschende gute Lern- und Arbeitsatmosphäre.

Mit unserer eigenen Schule wollen wir weg von dem in Nepal typischen rein dozierenden Unterrichtsstil hin zu einem interaktiven Lernen. Als ehemalige Lehrerinnen haben wir Seniorpraktikantinnen bzw. -expertinnen, die wir schon zum zweiten Mal ein paar Wochen gemeinsam in unserem Kinderheim wirkten, unseren einheimischen Kräften schon manches davon im Rahmen der Hausaufgabenbetreuung vermittelt. Derzeit sind wir auf der Suche nach weiteren Seniorexperten, die unsere Arbeit vertiefen und weiterführen. Unter unseren Paten fanden wir bereits einen pensionierten Grundschullehrer für Mathematik, der demnächst vier Wochen vor Ort geht. Da alle Fächer auf Englisch unterrichtet werden, benötigen wir dringend jemanden mit soliden Englischkenntnissen, der/die zeigt, wie man Stoff sinnvoll einteilt, unbekannten Wortschatz vermittelt und dazu geeignete Hausaufgaben stellt. Weitere Ausspracheschule wäre auch wünschenswert. Da ich selbst von Haus aus Englischlehrerin bin, schon viel die Kinder zu Hause unterrichtet und in deren bisheriger Schule Lehrer unterwiesen habe, erteile ich gerne weitere Auskünfte. Auch eine Kindergärtnerin für die Kita wäre sehr willkommen. Wir suchen außerdem gezielt über den Senior Expert Service in Bonn, bei dem Sie sich ebenfalls melden könnten. 

Kommen wir nun zur Ausbildung in Deutschland. Vor knapp fünf Jahren kam Madan aus unserem Kinderheim für ein FSJ-Jahr nach Deutschland. Er schloss eine Erzieherausbildung an, die er im Herbst abschließt. (Er wird im nächsten Rundbrief berichten). Ihm folgten letzten Herbst drei weitere Jugendliche: Dipendra sammelt mit seinem nepalesischen Bachelor in Sozialwissenschaften erste Berufserfahrungen in einer Münchner Kindertagesstätte und wird dort gleichzeitig nachqualifiziert, weil wichtige Anteile unserer Erzieherausbildung bei ihm fehlen. Jay Prakash und Sachin kamen rein zu Ausbildungszwecken. Ersteren, eher praktisch veranlagt, holten seine Paten und Gasteltern während seines Schuljahres in Marbach (s. RB Nr. 43, Sommer 2019) zur Ausbildung zum Zimmerer her; den stärkeren Theoretiker Sachin lassen sie in ihrer eigenen Firma eine Ausbildung zum Produktionstechnologen machen. Alle behaupten sich bis jetzt gut, werden geschätzt und fühlen sich wohl. 

Deutschland lockt zum Studium, weil wir gar keine oder nur sehr niedrige Studiengebühren haben. Unsere hohen Lebenshaltungskosten sind in Nepal unvorstellbar und können deshalb nicht bedacht werden. Da wir für einen Studienplatz mangels Stipendien für einen Bachelor für jeden einzelnen unserer Jugendlichen unverantwortlich tief in unsere Vereinskasse greifen müssten, schlugen wir ihnen eine duale Ausbildung vor, mit deren Vergütung sie bei bescheidener Lebensführung ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können.

Wir wollten unsere Jugendlichen zum Arbeiten nicht in die Golfstaaten oder andere fernöstliche Länder gehen lassen, weil sie einerseits hohe Vermittlungsgebühren zahlen müssen, die sie die ersten Monate mühselig abstottern müssen, andererseits meistens nur sehr einfache Arbeiten verrichten, oft fast wie Sklaven gehalten werden. Sie lernen nichts dazu.

Kurz nachdem wir unsere Jugendlichen für eine duale Ausbildung in Deutschland gewonnen hatten, erfuhren wir auf unserem Weg Unterstützung durch eine neu gegründete Einrichtung namens NSST (Nepalese Secretariat of Skills and Trainings), die von wohlhabenden Nepalesen finanziert wird und hinter deren Gedanken auch die deutsche Botschaft steht. Sie wollen, dass Jugendliche eine duale Ausbildung in Deutschland machen und dieses Wissen und Können eines Tages mit nach Nepal bringen, damit das Land sich dadurch weiterentwickelt. Man versteht, dass die Jugendlichen nach der Ausbildung noch einige Jahre in Deutschland arbeiten. Schlagender Beweis für diese These ist ein kürzlich eingestellter Mitarbeiter des NSST, der nach 10 Jahren Studium und Arbeit in Hannover wieder für immer in die Heimat zurückkam. Manche werden aber bleiben. 

Unsere 13 Jugendlichen – fünf davon sind weiblich - gehen alle in Berufsausbildungsbereiche, in denen in Deutschland großer Mangel herrscht. Sechs wollen eine Ausbildung in der Pflege und drei als Fachinformatiker*in machen, zwei wollen Köche werden und jeweils einer will eine handwerkliche bzw. industrielle Berufsausbildung als Anlagenmechaniker bzw. Zerspannungsmechaniker in Angriff nehmen. Die Hürde in der deutschen Sprache mit dem Niveau B1, evtl. sogar B2, muss noch genommen werden. Seit Monaten ergänzen alle deutschen Muttersprachler mit Zusatzstunden im Kinderheim den Unterricht im Goethe-Zentrum in

Kathmandu. Wir hoffen sehr, dass alle ihr Ziel erreichen. Sie fangen ihre Ausbildung zwischen dem 15.08. und 01.10. des Jahres an. Mit dem Jungen Aayush nehmen wir nach der Pandemie die Tradition des Besuchs der internationalen 10. Klasse in Marbach am Neckar wieder auf.

Sprachzertifikate sind jedoch nicht nur für unsere zur Ausbildung nach Deutschland strebenden Jugendlichen wichtig, sondern inzwischen auch für die Daheimbleibenden, und zwar in der in Nepal üblichen Zweitsprache Englisch. 7 Mädchen und 11 Buben haben sich dieses Jahr an die Abschlussprüfung der 10. Klasse gewagt. (Auf das Ergebnis warten wir immer noch.) Zur Vertiefung ihrer Englischkenntnisse besuchen nun 15 von ihnen vor Beginn der nepalesischen Oberstufe bzw. ihrer Ausbildung einen 1-monatigen Sprachkurs. Obgleich der Unterricht unserer Kinder bis zum Ende der 10. Klasse auf Englisch stattfand, sie sogar ihre Abschlussprüfung auf Englisch schrieben, gibt es noch genügend Spielraum für Neues. Zuvor hatten sie einen Monat in ihren Heimatdörfern verbracht, um ihre Familienbande zu erneuern und zu festigen und das harte dörfliche Leben bewusst zu erleben. Mehr zu ihren Aktivitäten nach Abschluss der Prüfung finden Sie in unserem Blog.

Zum Abschluss dürfen wir Ihnen noch die freudige Mitteilung machen, dass unser Mitarbeiter-Ehepaar, Tilak und Sunita, Mitte Februar Eltern eines Sohns wurden. Herzlichen Glückwunsch!


Wir suchen dringend neue Praktikantinnen und Praktikanten jeden Alters. Schauen Sie sich bitte unsere Homepage an und nehmen Sie mit uns Kontakt auf. Das nächste Einführungsseminar findet am Samstag, 23. Juli statt. Näheres erfahren Sie auf der Homepage.

 

Wir freuen uns auf Paten für unsere neu aufgenommenen Kinder. Patenschaften gibt es ab 30 Euro monatlich.

 

Wir sammeln immer noch gut erhaltene Laptops und Handys für Nepal.

Ihnen allen danken wir für Ihre langjährige oder erstmalige Unterstützung und wünschen Ihnen weiterhin alles Gute, vor allem Gesundheit in diesen noch nicht ganz überstandenen Corona-Zeiten. Leider wird unser Leben auch durch den Krieg in der Ukraine sehr belastet. Wir schätzen es daher besonders, dass Sie uns dennoch die Treue halten. Wir brauchen Sie auch dringend weiterhin.

 

 

Mit sehr dankbaren Grüßen verbleibe ich 


Eine Vielzahl weiterer Rundbriefe, der vergangenen Jahre, finden Sie auch in unserem Downloadbereich zum Herunterladen als pdf.

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